Offener Brief an die Gemeinderäte und den Bürgermeister von Neckargemünd
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 16.12.21 hat der Gemeinderat ca. 4200 fm Fällungen zugestimmt, das sind ca. 840 Bäume. Begründungen für Fällungen, die immer wieder vom Forstamt Neckargemünd vorgetragen werden, sollen im Folgenden genauer unter die Lupe genommen werden:
- Alte Buchen einschlagen ist nachhaltig und Teil eines entsprechenden Klimakonzeptes, so das Forstamt. Der Waldboden werde aufgelichtet. Damit könnten junge Pflanzen besser wachsen, der Regen die Erde besser erreichen. Angeblich ist diese Auffassung anerkannt in der Forstwirtschaft. Die Fakten sehen so aus: Im Land Rheinland-Pfalz gibt es seit 2020 einen Einschlagstopp für alte Buchen in allen staatlichen Wäldern. Hier die Begründung:
Alte, geschlossene Buchenwälder werden im rheinland-pfälzischen Staatswald besonders vor den Folgen des Klimawandels geschützt, indem dort auf großer Fläche vorerst keine planmäßige Holzernte mehr stattfindet. Dadurch soll dazu beigetragen werden, das Kronendach dieser Wälder möglichst geschlossen zu halten, um die Sonneneinstrahlung und Hitzeeinwirkung auf die Bäume und das Waldökosystem zu verringern. (Rheinland-Pfalz, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt und Mobilität (03.09.2020).
Im Koalitionsvertrag der jetzigen Ampelkoalition ist vermerkt, dass Buchenwälder in öffentlichem Besitz nicht mehr eingeschlagen werden sollen.
Wieso also kann es sein, dass die letzten zusammenhängenden Buchenareale des Neckargemünder Waldes zum Einschlag freigegeben werden sollen? Die staatliche Forstwirtschaft von Rheinland-Pfalz weist darauf hin, dass ein Sonnenbrand der Bäume verhindert werden muss und der Boden durch möglichst dichte Blätterkronen vor dem Austrocknen bewahrt werden muss. Es gibt zahlreiche Wissenschaftler*innen die dieses Vorgehen bestätigen. Ein staatlich beförderter Irrglaube? - Das Forstamt plant die Anpflanzung von Eichen und Douglasien. Auf einem in unserem Video ("Umdenken erforderlich") ausgewiesenen Areal sind zwei Douglasienpflanzungen durch Wildschäden vermutlich total zerstört. In den Dürresommern konnte man sehen, wie naturverjüngte Eichenschösslinge auf staubtrockenem Boden in der Sonne verdorrten. In der Nachbargemeinde Wiesenbach wurden zweimal Eichenpflanzungen ausgebracht. Die ersten 1250 Pflanzen gingen noch im selben Jahr aufgrund von Wassermangel ein. Bei der Nachbepflanzung konnte mit Wassertanks im Wald ca. die Hälfte der Bäume bis jetzt am Leben gehalten werden.
- Das „Klopapier-Argument“. Leider notwendig, sich auch damit zu befassen, weil unentwegt vom Forstamt (und anderen amtlichen Stellen) vorgebracht. Das Forstamt ist dem Gemeinderat und der Gemeinde verpflichtet, den Wald zu schützen und nachhaltig zu bewirtschaften. Es ist nicht verpflichtet, einen wachsenden Papierverbrauch zu decken. Der Gemeinderat kann nur im Sinne der Gemeinde entscheiden und nicht Argumente berücksichtigen, deren Beeinflussung außerhalb der eigenen Reichweite steht. Hygieneartikel (8% des Papierverbrauchs 2019) und Kartonagen (58% 2019) und Papier (41%) könnten teurer werden, um über den Preis einen anderen Umgang zu erzwingen. Rückgabe, kluges Recycling, Änderung der Logistik der Abfallwirtschaft, Besteuerung der Verpackungen für Amazon und andere Händler, Senken des Papierverbrauchs durch fortschreitende Digitalisierung – der Papierverbrauch kann und muss gesenkt werden. Aber die Beispiele verdeutlichen unser Argument: Diese Vorhaben können nur in breitem Verbund der Länder und des Bundes geschultert werden. Die Gemeinden müssen zunächst das Waldöko-System schützen – zum Nutzen aller.
- Das Argument "Rettung der Tropenwälder": Wenn wir nicht Holz liefern, wird vermehrt der Wald am Amazonas abgeholzt oder z.B. die rumänischen Eichenwälder. Wenn wir also unser Buchen einschlagen, vollbringen wir einen nachhaltigen Akt zum Schutz der Urwälder? - Bestimmt nicht! Die Höhe der Einschläge in unseren Gemeinden wird die Autokraten oder Möchtegerne-Autokraten dieser Welt von ihrem desaströsen Tun nicht abhalten. Der Wald in Brasilien wird vor allem vernichtet, um Sojaanbau und Rinderhaltung zu betreiben. Die Ausbeutung von Bodenschätzen und der Bau von Staudämmen sind weitere Gründe für die Rodungen. Holzhandel ist dabei ein lukratives und willkommenes Nebenprodukt. Den Raubbau verhindern, können hier nur multitlaterale Abkommen zum Schutz der Wälder wie jüngst in Glasgow von über 100 Nationen vereinbart. Oder die Zurückweisung z.B. des Mercosur-Abkommens das eine vermehrte Vernichtung von Regenwald zur Folge haben würde. Das Argument ist einfach nicht haltbar und kann für den Gemeinderat von Neckargemünd nicht bestimmend sein. Die Gemeinderäte sind dem Schutz ihres Waldes verpflichtet und können und müssen hier einen Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung leisten.
- Wir sanieren unser Schwimmbad auch durch Holzhandel – auch das haben wir gehört, allerdings in diesem Falle von Bürgern, nicht vom Forstamt. Die Forstwirtschaft weist ein strukturelles Defizit in vielen Kommunen auf, so auch in Neckargemünd. Die Aufschotterung der Wege, die Abwässergräben die geformt werden, die Bezahlung der Fremdfirmen, die oft vertrocknenden Neupflanzungen – alle diese Kosten können nur mit hohen Einschlagquoten wirklich gedeckt werden und führten in der Vergangenheit dennoch zu Defiziten. – Eine Forstwirtschaft die dem Waldschutz verpflichtet ist, Areale auch ruhen lässt und nur vorsichtig einzelne Bäume entnimmt, könnte dagegen Kosten reduzieren und den weiteren Substanzverlust des Waldes verhindern. Außerdem wird immer stärker eine Monetarisierung der Gemeinwohl- und Klimaschutzfunktion des Waldes politisch und öffentlich diskutiert. Eine Neuordnung der Zielsetzung in unserem Stadtwald könnte neue Geldzuflüsse bringen.
Gehen Sie durch den Neckargemünder Wald, sehen Sie sich an, was übrig ist an alten, mächtigen Bäumen. Was könnte in 10 Jahren überhaupt noch zum Einschlag freigegeben werden? Bäume wachsen langsam. Die jetzt zum Einschlag freigegebenen Buchen haben 100-150 Jahre für ihr Wachstum benötigt. Sie sind nicht beschädigt, sondern „erntereif“ wie das Forstamt mitteilt. Die aufgelichteten Areale führen in heißen Sommern dann zur Austrocknung der Erde, die frei gestellten Buchen bekommen „Sonnenbrand“ und müssen dann auch eingeschlagen werden. Sie können diesen Prozess an vielen Stellen im Wald beobachten “Am Absterben dieser Buchen ist der Klimawandel schuld“, lautet dann die Argumentation aus Forstkreisen. Demgegenüber steht das Vorhandensein gesunder alter Buchenbestände mit geschlossenem Kronendach bis weit in den Süden Europas.
In Wiesenbach hat das Forstamt vorgeschlagen, nur noch wenige Bäume einzuschlagen und den Wald ruhen zu lassen. In Gaiberg wurden zahlreiche Stimmen auf Unterschriftenlisten gesammelt, die für einen Einschlagstopp plädierten. Nur aufgrund von Formfehlern konnte das Begehren nicht anerkannt werden. Im Mühltal/Heidelberg-Handschuhsheim wurde das Vorhaben, 1000 Buchen einzuschlagen gestoppt. In Nußloch hat sich eine Initiative gebildet die sich für eine nachhaltige Forstwirtschaft einsetzt.
Es gibt auch in Neckargemünd zahlreiche Bürger, die für einen Einschlagstopp plädieren, um die Zielsetzungen der Waldbewirtschaftung zu diskutieren und dem Klimawandel anzupassen. Werden sie gehört? Ein Moratorium würde allen Beteiligten den Raum bieten, die Zielsetzungen für die Waldbewirtschaftung zu diskutieren und den Neckargemünder Wald mit Blick auf den Klimawandel stärker zu schützen.
Neckargemünd, den 13.11.2021 Initiative Waldwende-Neckargemünd